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Von Kreisky lernen

Von Kreisky lernen

 

          Von: Josef Wallinger

Dieser Text ist als Teil einer unveröffentlichten Sammlung (Magische Momente und bleibende Erinnerungen) von „Begegnungen“ mit mir wichtigen Persönlichkeiten des privaten und öffentlichen Lebens 2018 entstanden. Die durch Andreas Babler ausgelöste Hoffnung auf eine sich wieder auf die traditionellen Kernthemen und Werte besinnende SPÖ erinnert stark an die erfolgreichste Zeit der Partei unter Bruno Kreisky und an seine geniale Umsetzung in praktische Politik und die daraus resultierende Veränderung der Gesellschaft.

Im Jahre 1970 ist Bruno Kreisky in mein Bewusstsein getreten, da war ich dreizehn, als ich meinen Vater über Kreiskys ersten Wahlsieg jubeln hörte, denn er war endlich jemand, der etwas für die kleinen Leute tun würde. Ein Jahr später, bei der ersten absoluten Mehrheit, die die SPÖ unter Kreisky erreicht hatte, war der Sieg eines Sozialisten schon eine Spur normaler.

Dann kam das Jahr 1978 und die Österreich buchstäblich spaltende Frage der Kernenergie. Kreisky stellte sich - wenn auch aus heutiger Sicht eher aus pragmatischen Gründen - schließlich auf die Seite der Befürworter der Kernenergie und verknüpfte gar sein politisches Schicksal mit dem positiven Ausgang des von ihm vorgeschlagenen Referendums. Die ÖVP witterte Morgenluft, den für sie politisch unbesiegbaren Widersacher endlich loszuwerden und stellte sich, entgegen ihrer ursprünglichen Befürwortung der Kernkraft, gegen die Atomkraft. Die Abstimmung ging denkbar knapp gegen die Kernkraft bzw. die Eröffnung des bereits fertigen Kernkraftwerks Zwentendorf aus. Aber, die ÖVP hatte sich zu früh gefreut, denn: Kreisky blieb. Und wie er blieb. Die kurz darauffolgende Wahl gewann der Langzeitkanzler mit großem Vorsprung. Und vor dieser Wahl nahm ich zum ersten Mal – von insgesamt drei Veranstaltungen – die Gelegenheit wahr, eine Wahlveranstaltung des Kanzlers im Innsbrucker Kongresshaus zu besuchen.

Der Verlauf dieser Wahlveranstaltung ließ Vorstellungen davon aufkommen, wie das wohl gewesen sein muss, als einst der Kaiser Franz Josef in der sich in unmittelbarer Nachbarschaft befindlichen Hofburg in Innsbruck empfangen wurde. Das Kongresshaus war bereits prall gefüllt und vom Eingang bis zur Bühne bildete sich eine Art Spalier, die dem Kanzler den Weg zur Bühne bahnen sollte. Und endlich war es so weit: Zu den Klängen der Kaiserhymne schritt Bruno Kreisky gemächlich das Spalier seiner Anhänger entlang und winkte dabei mit einem gütigen Lächeln seinem (Wahl)Volk zu. Schließlich betrat er die Bühne und schickte sich an, seine Rede zu beginnen. Und diese Rede war eine Mischung aus seinem Wahlprogramm und launig vorgetragenen Anekdoten, in denen er sich vor allem die ÖVP vornahm. Ein Beispiel dazu, bei dem Kreisky sinngemäß Folgendes anmerkte: „Da kritisiert mich die ÖVP dafür, dass ich den Gaddafi empfangen hab,“ und - mit gespielter Empörung in der Stimme - fügte er sogleich hinzu: „aber dass ihre Bauern dann tausende Stierl’n nach Lybien verkauft hab’n, das hat sie nicht g’stört“. Das hatte gesessen - und es war nicht die einzige Breitseite, die der Kanzler in Richtung ÖVP losließ.

Es gab noch zwei weitere Wahlveranstaltungen, auf denen ich Kreisky in seinem Element erlebte, bei der letzten 1984 in der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck war der Saal bis auf den letzten Platz bereits besetzt, mit Ausnahme der ersten Reihe, die wohl für spät eintreffende Prominente reserviert war. Kaum hatte ich mit Mitgliedern meiner Familie dort Platz genommen, betrat der Exkanzler den Raum und begrüßte die vermeintliche Prominenz in der ersten Reihe, indem er uns die Hand schüttelte, welch eine Ehre, dachte ich mir dabei insgeheim.

In der Folge zog sich Kreisky immer stärker zurück auf seinen Urlaubswohnsitz in Mallorca, was ihm bekanntlich den für einen Sozialdemokraten abwertend gemeinten Titel des Sonnenkönigs einbrachte. Einmal kritisch auf seinen Luxusferiensitz im Mittelmeer angesprochen, konterte der „Alte“ jedoch gewohnt schlagfertig: „Wissen Sie, Kärnten kann ich mir einfach nicht leisten“. So war er eben der Kreisky, kritisierte man ihn, konnte man sich leicht eine gehörige Abreibung einhandeln. Auch so mancher Journalist, wie der von Kreisky abgekanzelte Chefredakteur Ulrich Brunner – Stichwort: „Lernen’s Geschichte, Herr Reporter“ - konnte ein Lied davon singen.

Was blieb nun von Kreisky? Was hebt den großen Sozialdemokraten so deutlich ab von allen österreichischen Politikern und machte ihn somit zum Ausnahmepolitiker, für viele zu einer Art politischem Übervater?

Da ist einmal schiere Dankbarkeit derer, die man als die Generation-Kreisky nennen könnte, eine Dankbarkeit für Kreiskys entscheidende Rolle in der Umgestaltung der österreichischen Gesellschaft. Durch seine Bildungsreform stieß der Bundeskanzler in den siebziger Jahren das Tor der Bildung auch für die ärmeren Schichten der Bevölkerung auf: Gratis-Schulbücher, Schülerfreifahrten, Schülerbeihilfen ohne strengen Notenschnitt und die Abschaffung von Aufnahmeprüfungen an den Gymnasien und Universitäten waren nicht nur konkrete finanziell enorm wichtige Erleichterungen, sondern auch von großer symbolischer Bedeutung insofern, als sich bildungsferne Eltern plötzlich beflügelt fühlten, auch ihre Kinder in eine höhere Schule zu schicken und einer immer größer werdenden Zahl nach der Matura selbst eine akademische Ausbildung zu ermöglichen. Zuvor waren sogenannte Arbeiterkinder Exoten in höheren Schulen. Es soll dabei als wichtige flankierende Maßnahme nicht unerwähnt bleiben, dass es in der Ära Kreisky auch einen Schulbau-Boom gab, der beispielsweise bei den kaufmännischen berufsbildenden Schulen in Tirol dazu führte, dass es heute an neun Standorten eine Handelsschule bzw. Handelsakademie gibt, anstatt wie bis Anfang der siebziger Jahre nur die Handelsakademie Innsbruck. Würde man zum Beispiel die soziale Herkunft von MaturantInnen und AkademikerInnen von heute mit jenen vor der Kreisky-Ära vergleichen, so ergäbe sich daraus ein eklatanter Unterschied hinsichtlich deren sozialer Herkunft, was eindrucksvoll dokumentiert, dass Kreisky das soziale Gefüge der österreichischen Gesellschaft mit seiner Bildungspolitik nachhaltig verändert hat.

Es würde zu weit führen, hier die sozialpolitische Umgestaltung des Staates mittels Umverteilung durch dreizehn Jahre Alleinregierung Kreisky näher auszuführen. Klar ist aber, dass die sozialistische Politik in den Bereichen des Mietrechts, des Arbeits- und Pensionsrechtes enorme Erleichterungen für die sozial bedürftigen Schichten in Österreich zur Folge hatte.

Aber Kreiskys Faszination lebte auch davon, dass er – so ganz anders als fast alle aktuellen Politiker, inklusive den sozialdemokratischen – seine Politik nicht nach tagespolitischen Notwendigkeiten oder gar nach populistischen Impulsen ausrichtete, sondern an längerfristigen Zielen orientierte.  Diese Ziele gründeten auf einem ethisch fundierten Weltbild, das sich einerseits aus Kreiskys enorm vielseitigem Wissen und andererseits aus seinem an Erfahrungen überaus reichen Leben speiste. Dass er als Agnostiker eine Aussöhnung der Sozialdemokratie mit der katholischen Kirche forcierte, zeigt ebenso seine Liberalität wie zum Beispiel auf einem anderen Gebiet seine Großzügigkeit in der Frage des Einreiseverbotes für die Habsburger.

Bleibt noch die Tatsache, dass es Kreisky auf Grund seiner Ausnahmeerscheinung als Israels Politik gegenüber kritischer Jude schaffte, international wichtige Dinge auszusprechen oder politische Impulse zu setzen, die anderen Staatsmännern nicht verziehen worden wären, man denke nur daran, dass er es war, der als erster Staatsmann Arafat und später sogar Gaddafi empfing. Auf diese Weise gelang es ihm, aus dem Kleinstaat Österreich einen internationalen „Player“ zu machen, was politisch durch die Neutralität und infrastrukturell durch die Einrichtung der UNO-City in Wien und den Bau des umstrittenen Konferenzzentrums erfolgte und Österreich so zu einem international anerkannten Ort der Begegnung im Herzen Europas werden ließ.

Natürlich gab es auch Schattenseiten, wie Kreiskys unverständliche politische Blindheit gegenüber eigentlichen ideologischen Gegnern wie Friedrich Peter, bei gleichzeitigen scharfen Angriffen gegen den Juden Simon Wiesenthal, der nach dem Krieg untergetauchte Nazis aufspürte und ihm damit eigentlich viel näherstehen hätte müssen. Seine Unterstützung der Atomkraft betrachtete im Alter spätestens dann als Fehler, als er eigene Enkel bekam, denen man, wie er meinte, eine sichere Welt überlassen müsse.

Was von Bruno Kreisky aber vor allem bleibt, ist zweifellos, dass er es wie kein anderer verstand, Visionen von einer gerechteren und damit besseren Welt für alle Schichten der Gesellschaft zu entwickeln und diese in praktische Politik umzusetzen. Und das ist es, was Bruno Kreisky in Österreich zu einem Jahrhundert-Politiker gemacht hat.

 

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